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Vernissage «Klingende Bilder – Sonette über meinen Skizzenbüchern»

Referat Dr. Markus Marti, Universität Basel, 01. 02. 2008, Dürstelerhaus, Ortsmuseum Gossau ZH


Sehr verehrte Damen und Herren, 
Lieber Richard Ehrensperger

Entschuldigen Sie, wenn ich Ihren Erwartungen vielleicht nicht ganz entsprechen kann. Zwar bin ich ganz stolz, hier sprechen zu dürfen, aber ich muss Ihnen auch gestehen, dass dies mein erster Vortrag bei solch einer Gelegenheit ist. Dass ausgerechnet ich an einer Vernissage sprechen soll, ist ungewöhnlich, denn in Sachen Malerei, vor allem der zeitgenössischen, gelte ich als ziemlicher Banause. 
Vielleicht bin ich dabei aber gar nicht so allein – vielleicht haben auch Sie sich in Ausstellungen schon unsicher gefühlt: Man sieht ein abstraktes Bild, das einen neugierig macht, man tritt näher, bückt sich mühsam, um den Titel zu erfahren, und liest dann entweder "Tableau" oder "Untitled" oder "ohne Titel", und man ist so ratlos wie zuvor. Und man ärgert sich.
Wenn man den Künstler fragt, weshalb er einem einen anständigen Titel zu seinem Bild verweigere, hört man meistens, er wolle dem Betrachter die Freiheit lassen, sich selbst unvoreingenommen ein "Bild" zu machen. Das ist eine ganz löbliche, basisdemokratische und konsumentenfreundliche Einstellung, aber ich bleibe dann trotzdem verärgert. Und misstrauisch, wie ich manchmal bin, vermute ich, die grosszügige Haltung kaschiere bloss die Faulheit, die Geschäftstüchtigkeit oder die Lieblosigkeit des Künstlers, und ich muss den Bünzli in mir unterdrücken, der dann denkt: "Typisch, wieder so einer, der nicht einmal einen Baum zeichnen kann, selbst nicht weiss, was sein Geschmiere eigentlich für einen Sinn haben sollte und zu faul ist, einen zu finden".
Ich weiss natürlich, dass die Sinngebung meine Sache ist, ob ich nun Kritiker bin oder nur einfacher Rezipient; der Künstler ist da immer fein raus. Er muss gar nichts erklären und kann produzieren, was er will, so lange es andere gut finden und loben oder gar kaufen, ist alles im Butter; und wenn gar niemand seine Bilder mag, dann erklärt er sich einfach zur Avantgarde und sonnt sich befriedigt in seinem Misserfolg. 
Er selbst weiss vermutlich schon, was und weshalb er malt, aber er findet, das gehe niemanden etwas an. Es ist vielleicht etwas Anstössiges, und deshalb will er den Betrachter, der in diesem Bild etwas Anständigeres oder gar Erhabenes sieht, nicht vom Kauf abzuschrecken. Da lässt er, wenn er geschäftstüchtig ist, Titel und Erklärungen schon aus rein kommerziellen Überlegungen lieber bleiben.
Eine rezeptionsfreundliche Haltung jedenfalls nehme ich ihm nicht ab, denn wenn er wirklich so konsequent wäre, dürfte er seine Bilder auch nicht signieren (sein Name könnte ja schon Programm sein!), er dürfte bei der Vernissage nicht anwesend sein (man könnte ja von seinem Äusseren auf die Aussage seiner Bilder schliessen), und er dürfte nichts daran verdienen (denn schon der Preis eines Kunstwerks könnte Aussagen über seine Qualität beinhalten). Konsequenterweise dürfte er, falls er eine Familie hätte, auch seine eigenen, leiblichen Kinder nicht taufen, sondern nur als "work in progress" oder " épreuve d'artist" ins Leben schicken.
Zumindest in dieser Beziehung bin ich altmodisch und fundamentalisch: Wie ein Kind, meine ich, braucht auch ein Kunstwerk einen Namen, damit es sich als einzigartig behaupten kann und keine blasse Nummer bleibt, damit man es sich merken kann. Die Mona Lisa wäre als "Ritratto senza titolo no 669" nie das bekannteste Bild der Welt geworden. 
Nur wegen eines Bildtitels muss der Betrachter ja noch nicht ungebührlich beeinflusst werden, auch Künstler mit klaren politischen und gesellschaftlichen Anliegen betiteln ihre Werke nicht mit Parolen wie "Nieder mit dem globalen Kapitalismus", "Für ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen", "Hoch lebe die sozialistische Volks- oder die schweizerische Milizarmee", oder "Wählt endlich diesen Blocher ab" – und wenn ein Künstler mich als Rezipienten überhaupt nicht lenken will, kann er ja einen ganz redundanten Titel wählen, der mir nur verrät, was ich ohnehin sehe: "En Esel", "Mann mit Goldhelm", "Stillleben mit Gauloise bleu und einem Glas Pastis", "Zeichen in Gelb" oder "Harmonie aus Vierecken mit rot, gelb, blau, weiss und schwarz": Gebt mir nur irgend einen Titel, und schon bin ich zufrieden. 

Aber auch gegen substantiellere Lenkung habe ich nichts einzuwenden, sie muss mich ja gar nicht einengen, sie könnte, im Gegenteil, sogar die Sehmöglichkeiten ausweiten, mir völlig neue, zusätzliche Dimensionen und Perspektiven öffnen. Ein gut gewählter Titel könnte mich irritieren, amüsieren oder sogar zum Nachdenken zwingen (wie z.B. ein Gemälde von Max Ernst mit dem Titel: Was für ein Vogel bist du?).
Mit Wörtern lassen sich – seien wir doch ehrlich – gewisse Dinge sagen, die sich mit einem Bild überhaupt nicht – oder nur auf sehr indirekte Weise – darstellen lassen. Und umgekehrt, auch das sei zugegeben, kann der Maler Dinge darstellen, die der Dichter nicht ausdrücken kann, oder auch nur auf sehr umständliche Weise. 
Der Paragone, der Wettstreit der Künste, ob nun die Malerei oder die Dichtkunst die vermeintliche Wirklichkeit am besten wiedergeben könne, ist ein alter Hut. Leonardo da Vinci hat sich damit beschäftigt, in einigen von Shakespeares Sonetten streitet sich das Auge (das gewissermassen für die Malerei steht) mit dem Herzen und der Zunge (die für die Dichtkunst stehen), und Lessing meint in seinem "Laokoon", dass beide Künste, die Malerei und die Dichtung, ihre Grenzen hätten. 
Synaesthesie hin oder her, was Farben anbelangt, ist die Malerei gegenüber Dichtung und Musik im Vorteil: Weder Else Lasker-Schülers Blaues Klavier noch George Gershwins Rhapsody in Blue sind so blau wie eines dieser – leider allerdings meist wieder unbetitelten – monochromen Bilder von Yves Klein. 
Schuster, bleib bei deinem Leisten, könnte man also fast versucht sein zu sagen, Gemälde sollen Gegenständliches und Farbliches abbilden, Dichtung soll belehren und durch Erzählungen unterhalten, Musik soll uns in Stimmung bringen. 
Aber so einfach ist das natürlich auch wieder nicht. Wenn nämlich Kunstwerke nur das täten, wozu sie durch die jeweilige Kunst prädestiniert sind, wären sie langweilig und uninteressant, nichts weiter als ein auf eine einzige Sinneswahrnehmung beschränkter Abklatsch der sinnlich erfahrbaren Welt. Nur wenn die Grenzen der Sinneswahrnehmung überschritten werden, wenn Dichtung Bilder und Gerüche entstehen lässt, wenn die Kochkunst zu erzählen beginnt und der Wein zu tanzen, wenn die Musik farbig wird, oder wenn Bilder beispielsweise erklingen, wird Kunst nämlich erst richtig interessant. 
Der Mensch ist ein Sinnenwesen, wir haben nicht anderes als Sinne, das ist unsere Existenz, das sind wir, und so lange wir leben, haben wir nichts anders im Sinne als diese unsere Sinne immer wieder und ständig zu reizen. Wir sind sinnlich von Kopf bis Fuss, ob wir wollen oder nicht, unser ganzer Körper dient der sinnlichen Wahrnehmung. Ohne die Sinne wären wir nichts, sinnlose und körperlose nobodies, wir wüssten gar nicht, dass wir da wären, und wir wären dann wohl auch nicht da. Wir kennen und wir wollen gar nichts anderes, als was wir sinnlich mit unserem Körper erfahren können. Wie anders sollten wir Sinn suchen, als mit all unseren Sinnen, und jede Kunst, die ja primär nur einen Sinn bedient, wird versuchen müssen, die weiteren Sinne irgendwie anzusprechen, um das sinnliche Erlebnis auszuweiten, um ihre eigenen, zum Beispiel von Lessing definierten Grenzen zu sprengen.
Am besten gelingt das Ansprechen anderer Sinne natürlich, wenn man Künste kombiniert, so dass jede das liefern kann, worauf sie spezialisiert ist – und wo immer möglich auch noch ein bisschen mehr. Richard Ehrensperger, so scheint mir, hat dies hier auch im Sinne. Was er uns präsentiert, ist zwar kein umfassendes Sinnenspektakel, es ist kein Gesamtkunstwerk und auch noch nicht Multimedia-Kunst, aber es ist ein Schritt in diese Richtung, eine gelungene Kombination aus Dichtung und Malerei, ein Zweigespann, das sich beim Medium Buch geradezu aufdrängt, da ja ein Buch speziell für diese beide Kunstformen gedacht ist. Nur sind jetzt die Skizzen nicht, wie das üblicherweise bei einem bebilderten Buch der Fall wäre, Illustrationen zum Text, und die Texte sind nicht einfach nur wie bei einem Bildband Legenden zu den Bildern. 
Die Idee, Bilder mit Gedichten zu kombinieren und miteinander wirken zu lassen, ist nicht neu. Seit der Renaissance wären sogenannte Emblemsammlungen jahrhundertelang zuoberst auf den Bestsellerlisten gestanden, wenn es schon Bestsellerlisten gegeben hätte. Neben einem Bild stand dort jeweils ein Gedicht, welches die allegorische oder metaphorische Bedeutung des Bildes erläuterte und mit der Moral des Ganzen schloss, ganz so, wie das etwa Richard Ehrenspergers Sonett Septämberliecht oder die beiden Sonette zu den Nüssen im Laub tun.
Man möge es mir Halbbasler verzeihen, wenn ich hier auch noch auf eine andere, vielleicht etwas anrüchigere Tradition verweise: In die Renaissancezeit fallen natürlich auch die Anfänge des Bänkelsangs. In zehn Tagen wird man in Basel wieder "Schnitzelbängg" zu hören bekommen, in denen ein Bild den Anlass zu einer Pointe im dazu gesungenen Verschen gibt, oder umgekehrt die Pointe im Text des Liedchens erst mit dem dazugehörigen Bild verstanden wird. Die beiden Elemente, der Vers und der "Helge" (das Bild) sind dabei im Idealfall so aufeinander abgestimmt, dass sie am Schluss vereint zu einer überraschenden Pointe führen, wobei das vielleicht bis dahin nicht verständliche Bild oder der bis dahin unverständliche Text durch das Zusammenspiel mit dem anderen Element plötzlich einen komischen Sinn kriegt und der ganze Saal befreit zu lachen oder wild zu grölen beginnt.
Richard Ehrenspergers klingendes Bilderbuch ist weder Populärhumor noch karnevalistische Satire, und es ist auch keine moraltriefende Emblemsammlung; er moralisiert zwar auch gerne, sehr gerne sogar, aber er tut dies in feiner Dosierung und immer mit einem feinen Humor, der sehr wohl pointiert sein und erheitern kann, aber nicht wie eine Schnitzelbangg bloss auf Pointenjagd geht. 
Indem Richard Ehrensperger seine Skizzen humorvoll erläutert, in kunstgeschichtliche Zusammenhänge stellt und ironisiert – wie z.B. in Blaui Chüe oder in Jungfrau –, indem er sie – wie z.B. in "Chabisspargle" – in einen biografischen Kontext bettet oder gar – wie bei "Santa Maria im Herbschtgold" – eine skurrile Geschichte dazu erfindet, eröffnet er dem Betrachter und Leser Dimensionen, die weit über das hinausgehen, was ein Bild oder ein Text alleine leisten könnten. Der Maler Ehrensperger bietet uns viel mehr als nur einen Titel, und trotzdem lenkt er uns nicht ungebührlich, er lässt uns teilhaben am Entstehungsprozess – z.B. in der "Lismeri" – oder am späteren (nassen) Schicksal einer einzelnen Skizze und des ganzen Skizzenbuchs – wie beim Brand im Hotel Kronos, und er gestattet uns so, mehr zu sehen als sich zeigen lässt. 
So wird etwa ein stattliches Haus zwischen Bäumen zum Groseltere-Huus, wie Kafkas Heimkehrer stehen wir davor, sehen den Hof und den Rauch vom Kamin, aber statt unheimlich wird uns nun heimelig zumute, das zweidimensionale Bild wird dreidimensional, wir erfahren, dass weisse Wäsche aufgehängt sei und ein Beil auf dem Holzhaufen liege – das sehen wir zwar nicht, aber vermutlich verdecken uns nur die Bäume die Sicht darauf, und die Stille, die wir zu sehen meinen, trügt, denn das daneben stehende Sonett bringt als vierte Dimension auch noch Bewegung und Leben ins Bild, es "geschieht" etwas, ein Auto kommt angefahren, eine Hündin mit Namen Carola bellt, und die Enkelkinder spielen mit fröhlichem Gekreisch.
Natürlich hören wir weder das Bellen Carolas noch das Gekreisch der Kinder. Wir lesen nur darüber. So wenig wie das gemalte Bild kann das gedruckte Wort "tönen". 
Der Titel "Klingende Bilder" ist also in einem gewissen Sinne irreführend, genau so irreführend wie der Ausdruck "Sonett", der für eine Gedichtform steht, die doch meistens auch nur stumm gelesen wird. Obwohl der Name "Sonett" von "sonare" abgeleitet ist, werden Sonette nur selten vertont, und die meisten Sonettvertonungen, die ich kenne, sind eher enttäuschend – sie sind entweder zu kurz, wenn sie nur den Text untermalen, oder zu lang, wenn die Musik sich verselbständigt. Sonette haben Musik offenbar gar nicht nötig, sie "tönen" selbst, sie tragen ihren Namen wegen ihres vertrackten Reimmusters, wegen des als musikalisch empfundenen Reimgeklingels. 
Sie sind also wieder so ein Glücksfall von sinnlicher Grenzüberschreitung, wo eine Kunst sich anmasst, der anderen ins Handwerk zu pfuschen, wo Dichtung zu Musik werden möchte. 
Damit sie es wird, müssen strenge Regeln befolgt werden, der Sprache und dem Inhalt sind enge Grenzen gesetzt, in 14 Zeilen zu 10 oder elf Silben, dh. in 140 oder maximal 154 Silben muss alles gesagt werden, und es sollte sich erst noch an allen Ecken und Enden reimen. 
Manch einer wird deshalb vielleicht dem Dichter und Maler Robert Gernhardt recht geben, wenn er unter dem Titel "Materialien zu einer Kritik an der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs" schreibt:



Sonette find ich sowas von beschissen
so eng, rigide, irgendwie nicht gut.
Es macht mich ehrlich richtig krank, zu wissen,
dass wer Sonette schreibt, dass wer den Mut

hat, heute noch so'n Scheiss zu bau'n.
Allein der Fakt, dass so ein Typ das tut,
das kann mir echt den ganzen Tag versau'n.
Ich hab da eine Sperre; und die Wut

darüber, dass so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht und ich will's nicht wissen.
Ich find' Sonette un-heim-lich beschissen.

So ernst meinte das aber der leider vor zwei Jahren verstorbene Robert Gernhardt nicht. Er selbst fand Sonette keineswegs beschissen, und er hatte da auch keine Sperre, denn sonst hätte er wohl weder dieses noch viele andere geschrieben. 
Wie die Stilebene dieses Gedichtes schon andeutet, würde ich hier als Deutschlehrer sagen, spricht hier nicht der Dichter Gernhardt selbst, sondern ein Vertreter der uns Lehrern wohlbekannten Spezies des jungen bildungsfernen oder gar bildungsfeindlichen Lernenden, der vielleicht eine Klassenarbeit zu Goethes Sonett "Natur und Kunst" verfassen muss und sich darüber ärgert, wenn er liest: "Vergebens werden ungebundne Geister / Nach der Vollendung reiner Höhe streben." 
Stünde er nämlich nicht unter einem solchen schulischen Zwang, würde sicher auch dieser junge Mensch zugeben, dass Sonette – vielleicht ganz besonders dieses Gernhardtsche – auch geil sein können. 
Wenn Richard Ehrensperger mich gebeten hat, vor Ihnen zu sprechen, so war es wohl hauptsächlich deswegen, dass ich – wie er – zu einer Gruppe von Mackern und abgefuckten Kackern gehöre, die es toll und motivierend finden, Sonette in Schweizer Mundarten zu verfassen. 
Was einen dazu motivieren kann? Nun, ein Grund ist wohl schon, dass man mit neuen "Farben", mit einem (entschuldigen Sie den sexistischen Vergleich) "jungfräulichen" Sprachmaterial schaffen kann – unsere Mundarten sind keine Schriftsprachen, das Feld liegt, was gedruckte Literatur anbelangt, weitgehend brach, man kann es neu beackern, muss nicht dort durch, wo andere schon gepflügt haben, und doch lässt sich beweisen, dass auch unsere Mundarten ein Feld sind, dass sich literarisch zu bestellen lohnt. Dass das nicht einfach ist, macht die Sache erst recht spannend, "geil" eben, wie eine Freudsche Analyse meiner eben benutzten Metaphern zeigen würde. 
Die bekannteste Gedichtart italienischen Ursprungs ist mit ihrer engen und rigiden Form eine besondere Herausforderung, man muss die passenden Reime finden und die Sätze drehen und wenden, bis sie in die Zeile und ins Versmass passen, und man darf am Schluss dem Text all diesen Schweiss und dieses "Geknorze" nicht mehr anmerken, die Zeilen müssen natürlich wirken, so natürlich, wie unsere gesprochene Sprache eben ist, ohne Schnörkel, ohne die veralteten Wörter, die niemand mehr kennt, die aber manch ein konservativer Mundart-Sprachpurist noch irgendwie retten möchte. 
Richard Ehrensperger hat in seinen Mundartbüchern und Zeitungskolumnen schon gezeigt, mit welcher Leichtigkeit er seine Mundart zur Schriftsprache machen kann. Wie leicht ihm die Mundart auch in gebundener Sprache fällt, mögen ein paar wahllos herausgepickte erste Zeilen aus den Sonetten beweisen (verzeihen Sie mir dabei mein schlechtes Züritütsch): "Das gseet me doch de Pherschpäktiiven aa", "D Hüüser sind so bräit wie d Waldböim hööch", "S sind ales Zäiche vo Vergangehäit: Zitroone, Tuubeturm, Oliiveböim", "Me gseet s: Das Huus hät bessri Ziite ghaa", 
Das klingt alles leicht dahergesagt, aber bis man das so weit hat, setzt es manchen Fluch, nicht nur beim Metrum, viel mehr noch beim Reimen, denn manch ein Reimwort ginge im Hochdeutschen zwar problemlos, lässt sich aber wegen einer fehlenden Lautverschiebung oder einer anderen Vokalqualität in der Mundart nicht gebrauchen (so geht zwar Gernhardts "beschissen" und "wissen" im Wallisertitsch als "bschissu" und "wissu" auch, und auch der Däig-Basler könnte das Wort "bschisse", wenn er es denn in den Mund nähme, mit "wisse" reimen, aber im Baselbiet und auch schon im Kleinbasler Dialekt der Unterschicht geht "bschissä" und "wüssä" nicht, und auf Zürideutsch, nehme ich an, wohl auch nicht). 
In solchen Fällen findet man Sonette dann tatsächlich "beschissen", aber manchmal ergeben sich aus unserer Mundart auch wieder Vorteile – das Wort "Mensch" etwa, auf das man sich im Hochdeutschen bekanntlich keinen Reim machen kann, lässt sich als "ä Mänsch" im Züritütschen problemlos mit "de känsch" reimen. 
Wenn man dann ein Sonett vollendet hat, ist die Freude zu Recht gross, und man staunt, wozu unsere Mundarten fähig sind. "In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister", darf man dann mit Goethe sagen, und – auch wenn es ironisch gemeint ist – was das handwerkliche Geschick im Sonettieren anbelangt, darf man sich dann mit Fug und Recht als stolzer Trittbrettfahrer zu unsern klassischen deutschen Dioskuren gesellen, sich visuell als Mönch zwischen Jungfrau und Eiger schieben und akustisch den Dreiklang "Schiler, Gööte, Richart Eereschperger" ausprobieren.
Nun hat "de Schiler" meines Wissens keine Sonette geschrieben, und "de Gööte" nur wenige, aber es liessen sich viele andere – ebenso respektable Namen finden, neben die sich Richard probeweise auch noch stellen könnte. Viele Sonette Rilkes etwa sind auch nichts anderes als "klingende Bilder", Skizzen und Momentaufnahmen. 
Mir als Anglisten fallen dabei vor allem Engländer ein. Shakespeare habe ich schon mal kurz erwähnt, aber spätere Sonettdichter sind dem Ehrenspergerschen Konzept noch näher. Der viktorianische Dichter und Maler Dante Gabriele Rossetti etwa, ein Präraffelit, der wie viele seiner Freunde und Zeitgenossen Sonette zu eigenen und fremden Bildern und Skulpturen verfasst hat. 
Und wenn wir noch ein Jahrhundert oder zwei weiter zurückgehen, fallen mir die ersten Touristen in der Schweiz ein, die auf ihrer "Grand Tour" sowohl Skizzen machten wie auch Sonette schrieben, um ihre Reiseeindrücke festzuhalten und unsere Berge, Seen, Esel und Kühe zu beschreiben – und, wenn es dann weiter südwärts ging, auch die römischen Statuen und griechischen Tempel. Die Grand Tour war Bestandteil des englischen Bildungssystems – Reisen bildet nämlich buchstäblich und buchstäblich auf eindrückliche Weise, davon war man überzeugt, vor allem wenn das Gesehene, die Bilder, in Skizzenheften und das Erlebte, die Eindrücke, in Tagebüchern festgehalten werden. Einige der ersten "Touristen" hätten zwar, was ihre Einstellung zu Bildung und Bildungsgut anbelangte, Vorfahren des vorhin zitierten Gernhardtschen Sprechers sein können, faule junge Schnösel aus reichem oder adligem Hause. Zu faul, um Eindrücke und Bilder zu sammeln, liessen sie sich sowohl die obligatorischen Skizzen wie auch die Sonette von Professionals machen, denn die jungen Lords konnten es sich leisten, zu diesem Zwecke neben einem Butler und einigen Gepäckträgern und einheimischen Reiseleitern auch einen namhaften Dichter und einen namhaften Maler im Gefolge zu haben. 
Aber es gab auch junge und ältere Touristen, die sich ernsthaft selbst um diese Bildung bemühten und sich (wie Richard Ehrensperger) als wahre Amateure oder Dilettanten im ursprünglichen Sinn des Wortes erwiesen, und andernfalls waren es wenigstens die mitgeschleppten Dichter und Maler, die von der Reise profitieren und sich weiter bilden konnten. 
Als auch die Deutschen dieses Bildungssystem übernahmen, kam beispielsweise "de Gööte" so als Begleiter und Mentor des Herzogs Karl August in den Genuss von vier Schweizer Reisen, und ohne seine Skizzen und Eindrücke hätte "de Schiller" im fernen Weimar oder Jena seinen Tell nicht hingekriegt, und "de Eeretsperger" stünde jetzt vielleicht als einsamer Mönch ohne Eiger und Jungfrau mit seinen Sonetten da.
Wie alle damaligen Touristen hatte sicher auch der englische Romantiker William Wordsworth auf Reisen immer einen Skizzenblock bei sich. Es ist anzunehmen, dass auch er diese Skizzen erst nachträglich in Sonette umformte – Sonette gleichen Skizzen insofern, als sie mit ihren rigiden Formen eben auch einen Rahmen geben, der sich so wenig sprengen lässt wie ein Blatt im Skizzenbuch, und ihre vorgeschriebene Länge bzw. Kürze lässt kaum Platz für Handlung, aber sehr wohl für Beschreibung. Nach zwei beschreibenden Quartetten lässt das petrarkische Sonett noch 6 Zeilen Raum für eine Moral, während die Shakespearesche Form nach drei Quartetten noch einen Zweizeiler für die Pointe übrig lässt.
Einige von Wordsworth's berühmtesten Sonetten würden – hätten wir auch noch die Skizzen dazu – bestens in Richard Ehrenspergers Sammlung von klingenden Bildern passen, da sie ebenfalls das Gesehene beschreiben und Gehörtes registrieren: In "On Approaching the Staub-Bach, Lauterbrunnen" beklagt er sich über das für die Touristen von Schweizer Bettlern dargebotene misstönige Gejodel, das das Rauschen des Falls in der Ferne übertönt, es war offenbar kein "Lioba", denn in "On hearing the Ranz des Vaches on the top of the Pass of St Gotthard" ist er dann doch begeistert und es überkommt ihn Heimweh, als er den Kuhreihen hört, er denkt wohl an die blauen Kühe seiner Heimat, und in "Echo, upon the Gemmi" meint er nachts in Leukerbad einen einsamen Wolf zu hören – ein Irrtum wohl, denn die Walliser Jäger oder Schäfer hätten den mit Sicherheit schon damals abgeschossen. Ich weiss das, denn ich bin im Wallis aufgewachsen.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, könnte man also, wie immer, sagen. Aber es gibt auch nicht viel wirklich Gelungenes unter der Sonne, und Richard Ehrenspergers Sonettskizzen- oder Skizzensonett-Buch ist etwas wirklich Gelungenes. Ich mag viele dieser Bilder, wenn auch nicht alle, auf den ersten Blick; und vielleicht gefällt mir das eine oder andere Sonett aus irgendwelchen Gründen nicht so gut, aber was ich auf jeder einzelnen Doppelseite dieses Büchleins mag, ist, wie sich Bild und Text ergänzen, ich mag diese Zwiesprache zwischen Bild und Sonett, ich mag den durchgehenden leisen Humor und die Selbstironie, und ich mag die Einblicke in die Entstehungsprozesse, die einem das Malen und Zeichnen so nahe bringen, dass man merkt, das muss Vergnügen gemacht haben, und dass man sich wünscht, man könnte das auch. Es ist ein schönes und ein weises Buch. Diese Bilder klingen nach, sie sind nicht stumm, man braucht nur in diesem wahrlich wunderbaren Bändchen zu blättern, und schon merkt man das, womit ich hiä "wiä bim mussorgski" uff wallisertitsch und öü in der form va mu sonett schliässu wellti:

Wiä bim mussorgski

Wiä bim mussorgski geisch va bild zu bild.
Durch d üssschtellig diänt dich sonetti fiäru,
di chännunt z jedum bild än too serviäru,
wa z läblos bild mit warmum läbu fillt.

Scho keersch im salo d'tschääss-bänd müsiziäru,
än blindä am klavier isch z mitts im schpill.
Zerscht meinsch, di hibsch kirgisin siigi schtill,
doch z maal faatsch a uff griäzi-titsch parliäru.

So sachä cha än zeichnig iisch nit bringu:
We ds bild öü mee wa tüüsig weerter seit,
Gitts doch momänti, wa öü ds bild verseit,

und dass va denu de nit alls vergeit,
cha einum nur mit hilf va weerter glingu:
z sonett bringt schtummi bilder zum erklingu.

Markus Marti, 01.02.08